Dienstag, 10. November 2015

Qualifikation und Bildung vs. Industrialisierung und Co.

Heute habe ich einen Artikel in der ZEIT gelesen, der sich mit der Verdrängung von Arbeitern durch Roboter an Facharbeiterarbeitsplätzen befasst. Während in vielen Diskussionen viel gesagt wird, aber wenig neue Ideen entstehen, möchte ich mich in der nächsten Zeit näher mit Zukunftsideen befassen.

Heute: Die Grenzen der Qualifikation und der Automatisierung

Folgendes Problem ist zu lösen: Durch die Automatisierung / Roboterisierung kann immer mehr produzierende Arbeit mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft geleistet werden. Dadurch ergibt sich in der momentanen Gesellschaft eine Umverteilung. Je mehr automatisiert produziert wird, umso mehr Wohlstand häuft sich bei Menschen an, denen die Produktionsmittel gehören bzw. die Anteilseigner daran sind. Ganz mechanisch betrachtet gibt es dazu eine Gegenreaktion, die bewirkt, dass bei denen, die nun nicht mehr an diesem Wertschöpfungsprozess teilhaben, der Wohlstand sinkt. Wohlstand möchte ich dabei als die Fähigkeit definieren gewisse Zustände bzw. Qualitäten zu erreichen. Der ausgeklinkten Fraktion stehen nun vier Möglichkeiten offen:

1. Sie suchen einen Arbeitgeber, der noch nicht automatisiert. Eine Option mit beschränkten Zukunftsaussichten, da der automatisierte AG meist auch wirtschaftlich stärker ist und den neuen AG verdrängt.
2. Sie wechseln von der Produktion in die Dienstleistung. Diese Option ist auch beschränkt, da durch das Absinken des Gesamtwohlstands auch weniger Nachfrage nach Dienstleistungen (also der Dienst zum Erzeugen gewisser Zustände und Qualitäten) besteht. Darüber hinaus drängen noch andere Menschen in den Dienstleistungssektor.
3. Sie resignieren und vertrauen auf soziale Sicherungssysteme. Dies führt zu konkreten Problemen wie Unzufriedenheit, externen Druck doch wieder (an ungewollter Stelle)in den Arbeitsmarkt einzutreten, finanzielle Kosten für den Ausgleich für die Leistungen durch die Arbeitenden und die notwendigen Produkte und Verlust des sozialen Status.
4. Sie erwerben weitere Qualifikationen. Der Erwerb der weiteren Qualifikation, um zum Beispiel nun die Roboter warten, programmieren oder entwickeln zu können, kann kurzfristig helfen. Langfristig stellen sich folgende Probleme ein: Nicht alle Menschen können weiter qualifiziert werden. Auch mit der entsprechenden Qualifikation ergeben sich aus der Automatisierung keine neuen Arbeitsplätze im Verhältsnis 1:1. Die Qualifikation kostet Geld und hat gleichzeitig einen ungewissen Ausgang (Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen, Umschulungen etc.).

Dem gegenüber steht eine Erfahrung, die bisher in der Digitalisierung, der Automatisierung und der Industrialisierung gemacht wurde: Nach einer Phase der Anpassung führten diese Schritte immer zu einer Verbesserung der Lebensqualität und des allgemeinen Wohlstands. Warum sollte es jetzt nicht genauso sein. Betrachten wir die drei -ierungen einmal genauer. Die Industrialisierung führte zum Wegfall der Notwendigkeit des Einbringes manueller Kräfte in die Produktion. Manufakturen wurden zu einer Nische und die Fabrik bot dem Arbeiter auf Dauer die Möglichkeit mit seinen begrenzten Kräften mehr zu produzieren, weil die Maschine ihm kraftzehrende oder schnelle Wiederholungen ersparte. Eine rein körperliche Qualifikation wurde also um eine geistige Qualifikation ergänzt, die zur Arbeit an den Maschinen erforderlich war. Der Facharbeiter entstand, während der ungelernte Arbeiter immer weniger benötigt wurde. Den Weg der Manufaktur ging im Rahmen der Atuomatisierung dann die ungelernte Kraft. Nur noch in gewissen kleiner werdenden Nischen ist eine unqualifizierte Kraft geschickter als eine automatische Maschine. Diese Nischen werden jedoch immer kleiner. Man bedenke in dieser Hinsicht zum Beispiel das Sortieren oder Ernten. Der ungelernten Kraft blieb nur noch das Geschick der Hände, das sie der Maschine voraus hatte. Die qualifizierte Kraft hingegen konnte sich ganz neue Tätigkeitsfelder erstreiten. Aus vielen unqualifizierten Kräften konnte durch Bildung eine qualifizierte Kraft gemacht werden, oder die Kinder der unqualifizierten Kräfte wurden spätestens durch Bildung qualifiziert. Auch der Bedarf an spezialisierten Kräften wuchs dementsprechend, wodurch auch mehr qualifizierte Kräfte z.B. durch ein Studium (insbesondere in die geistige Richtung) spezialisiert wurden.
Der nächste Schritt war die Digitalisierung. Diese setzt an einem Punkt an, an dem die unqualifizierten Kräfte bereits keinen Vorteil aus der Umbildung gewinnen können. Die Digitalisierung führt stattdessen dazu, dass qualifizierte Kräfte (durch eignugn und Bildung qualifiziert) eine Spezialisierung benötigen um mit digitalen Systemen arbeiten zu können. Allerdings führt die Digitalisierung auch zu einer weitern Stärkung der Automatisierung, wodurch der Bedarf an unspezialisierten qualifizierten Kräften sinkt, und die qualifizierte Arbeit (z.B. als Schlosser) durch eine spezialisierte qualifizierte Arbeit ersetzt wird (z.B. als Mechatroniker). Auch hier ersetzt die Verbesserung den Arbeiter statt ihn zu unterstützen. Nur bei ausreichender Spezialisierung auf die Herstellung, Bedienung und Wartung automatisierter Systeme kann in der Produktion eine Funktion erfüllt werden, die über einen "Ersatz" für eine für dei Funktion zu teure Maschine hinaus geht. Streumehlrinnen in Großbäckereien werden auch nur händisch gewechselt, weil die maschinelle Ausführung deutlich teurer wäre als zwei Menschen zu beschäftigen. Zum Glück setzt hier die Robotik an. Durch Fortschritte in der Robotisierung ist es immer kostengünstiger möglich händische Prozesse zu substituieren. An diesem Punkt ist dann nur noch die Steuerung und Wartung automatisierter digitaler robotischer Prozesse erforderlich. Aus dem Mechatroniker wird ein Industrierobotiker. Der intellektuelle Anspruch an diese Arbeit steht dabei direkt entgegengesetzt zur erforderlichen Zahl an Personen, die diese Tätigkeit ausführen muss und ausführen kann. Spätestens an diesem Punkt sind gewisse Teile der Bevölkerung für die Produktion fast völlig nutzlos. Diese verfügen zwar theoretisch über ausreichende körperliche und geistige Qualifikationen, allerdings ist ihre Leistung im wirtschaftlichen Sinne nicht mit der Leistung der Maschine zu vergleichen. An diesem Punkt auf einen Wechsel in den Dienstleistungssektor zu verweisen ist müßig. Während der Fokus auf der Industrie lag, hat sich in der Dienstleistung eine parallele Entwicklung vollzogen. Unqualifizierte Leistungen werden nur noch gebraucht, wenn die Substitution teurer ist. Mit steigendem Fortschritt wird die Substitution jedoch schnell billiger. Auch qualifizierte Fachkräfte werden hauptsächlich in dem Sektor benötigt, in dem eine soziale Komponente erforderlich ist. Jedoch zeigt sich, dass auch hier eine Substitution erfolgt. Angefangen beim Google-Algorythmus, über Siri und TTS- und Spracherkennungssysteme ersetzt spätestens die Digitalisierung den sozialen Faktor. Im Sinne der Gewinnerzielung ist auch hier der Algorythmus bzw. das Programm günstiger und besser als das "Fräulein von der Auskunft". Parallel zur Robotik werden autonome Algorythmen auch in der Dienstleistungsbranche bessere Leistungen erbringen als sie qualifizierte Kräfte erbringen können, und das zu einem günstigerem Preis. Eine Entwicklung, die grundsätzlich nicht zu verteufeln ist, denn jedes bessere Programm oder jeder Roboter stellt in sich nur ein weiter spezilisiertes Werkzeug dar, dass eine immer besser Programmierung und Wartung erfordert. Während ein Friseur also vielleicht bald nur noch eine (alte) Friseurmeisterin ist, der einen Robotiker und hundert Roboter á zehn Roboter pro Filiale beschäftigt, werden somit auch in der Dienstleistungsbranche immer weniger qualifizierte Kräfte benötigt werden. Sicherlich wird der soziale Faktor weiterhin ein Alleinstellungsmerkmal sein, jedoch ist davon auszugehen, dass es, ganz wie bei einer in einer Manufaktur hergestellten Uhr, eine Zielqualität sein wird, die nur wohlhabende Menschen erreichen können. Was im Moment Dienstleistung und Handwerk schützt ist kein Naturgesetz, sondern die Komplexität der Aufgaben. Allerdings hat sich bereits in der Produktion gezeigt, dass durch das Zusammenwirken vernetzter spezialisierter Automatismen diese Komplexität erreicht werden kann.

Somit stellt sich die essentielle Frage: Ab welchem Punkt ist es einem Teil der Bevölkerung nicht mehr möglich sich ausreichend zu qualifizieren um im wirtschaftlichen Wettbewerb zu bestehen? Meiner Ansicht nach ist dieser Punkt bereits erreicht. Die Mittel der modernen Pädagogik sind trotz jahrhunderterlanger Erfahrung und Forschung nicht in der Lage die Gesamtbevölkerung für eine wirtschaftliche Optimierung zu konditionieren. Heutzutage steht jedem Menschen in einer demokratischen freiheitlichen Gesellschaft genug Information zur Verfügung sich das Wissen für jede Tätigkeit anzueignen. Neben dem Selbststudium gibt es eine Schulpflicht, sowie Förderprogramme für Aus- und Weiterbildung. Die Studiengänge quellen über, Eltern werden militant, nur um ihre Kinder bis zum Abitur und dem Bachelor und Master zu bringen. Doch trotzdem zeigt sich, dass es keinen 100%igen Wirkungsgrad im Bildungssystem geben kann. Im Gegenteil, der Bildungsdruck durch die heranziehende wirtschaftliche Autonomisierung führt zu konkreten Schäden an der Psyche. Wie Kinder, die in Fabriken während der Industrialisierung schuften mussten und daher physische Krankheiten entwickelten, so schuften Kinder nun zwischen Schule, Tutor, Verein und Musikschule um genug Qualifizierung zu entwickeln, damit sie in ihrer Zukunft nicht das Schicksal von Webern, Kohlekumpels oder Besenbindern ereilt. Mit dem eklatantem Nachteil, dass der dauerhafte Druck genauso wirkt wie das Schmieren komplexer Dampfmaschinen durch Kinderhände. Ab und an wird ein Kind zerquetscht, und die Eltern verhungern, weil niemand mehr ihre Besen kauft. Nur wirkt sich der Druck nicht nur auf die Kinder aus, sondern eben auf alle Menschen, für die es nur einen Ausweg gibt. Nach oben. Wer nicht qualifiziert udn spezialisiert ist, kann nur noch wirtschaftlich wertlos sein.

An dieser Stelle zeigt sich, dass die Automatisierung und Autonomisierung an ihre Grenzen stößt. Nicht, weil technisch nicht mehr möglich ist, sondern weil der gesellschaftliche Nutzen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr der Mehrheit der Gesellschaft zugute kommt, bzw. es zu extremen Spannungen kommen wird, weil einerseits Wenige, die durch die Autonomisierung einen Vorteil erlangen, sehr viele Menschen, die benachteiligt werden, unterstützen müssen. Daher möchte ich an das Ende dieser Betrachtung folgende Erkenntnis stellen:

So, wie es in kommunistisch orientierten Gesellschaften keinen konkreten individuellen Fortschritt geben kann, gibt es in kapitalistisch orientierten Gesellschaften keinen gemeinschaftlichen Fortschritt. Während also primär zum gemeinschaftlichen Vorteil agierende Gesellschaften in Bereichen stagnieren, die individuellen Unternehmergeist erfordern (neue Techniken etc.), stagnieren auf den individuellen Vorteil ausgerichtete Gesellschaften, weil es in der Gesellschaft zu keiner Entwicklung (besserer Bildung, stärkereres Gemeinwesen) kommen kann, da jeder gezwungen ist nur zum eigenen Vorteil zu handeln.


Im nächsten Blog will ich dann näher auf diese These eingehen. Bis dann!

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